Pierre Kompany ist der Vater des Bayern-Trainers. Der heute 77-Jährige floh 1975 aus dem Kongo, schrieb in Belgien politische Geschichte – als erster schwarzer Bürgermeister des Landes. Im exklusiven Interview mit SPORT BILD spricht er über seinen bewegenden Lebensweg, den steilen Aufstieg seines Sohnes Vincent und dessen große Herausforderung beim FC Bayern.
Herr Kompany, was würde es Ihrer Familie bedeuten, wenn Ihr Sohn Vincent den Meistertitel mit den Bayern gewinnt?
Pierre Kompany: „Das wäre ein ganz besonderer Moment für uns – ein Moment für die Ewigkeit. Ich war bei Manchester City, als er dort als Spieler Titel gewonnen hat. Ich war bei Burnley, als er die Meisterschaft in der zweiten Liga gewann. Aber jetzt, bei Bayern München, als Trainer? Das ist etwas anderes. Das ist die Spitze des Weltfußballs. Es ist für unsere Familie das Größte. Wenn man auf unsere Familiengeschichte blickt, ist es die Belohnung für harte Arbeit und für all das, was wir erlebt haben.“
Pierre Kompany (77)
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Im Jahr 1975 sind Sie aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo nach Belgien gekommen. Erst sieben Jahre später wurden Sie als politischer Flüchtling anerkannt. Wie blicken Sie auf die Zeit zurück?
„Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Mein Vater und meine Mutter kamen aus wohlhabenden Verhältnissen. In unserer Familie gab es keine finanziellen Probleme, und wir konnten alle eine gute Ausbildung genießen. Ich wollte in meiner Heimat bleiben, nur musste ich irgendwann gehen, weil ich mich dort gegen die Diktatur gestellt habe – dann wurde es hart. Ich lebte sieben Jahre in Belgien ohne offizielle Dokumente. Das bedeutet, dass ich keine Rechte hatte – keine offizielle Arbeit, keine feste Perspektive. Ich war quasi ein Niemand. Ich musste mich irgendwie durchschlagen, aber ich fand meinen Weg. Ich spielte Fußball, begann, junge Spieler zu trainieren. Ich wusste, dass ich mich in die Gesellschaft einbringen musste, wenn ich akzeptiert werden wollte. In Belgien habe ich schnell verstanden, wie ich zwischen den Menschen leben muss. Ich habe mich nicht provozieren lassen, ich bin friedlich geblieben, aber immer sehr aufmerksam.“
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Ihr politisches Engagement war von Anfang an groß. Sie setzten sich in Belgien für die Rechte von Migranten und gegen Rassismus ein. Nach 28 Jahren in Europa wurden Sie in der Brüsseler Gemeinde Ganshoren zum ersten schwarzen Bürgermeister Belgiens gewählt. Was hat Ihnen das bedeutet?
„Am Anfang hatte ich keine Unterstützung, keine politische Familie hinter mir. Ich war allein. Dass ich dann diesen Meilenstein erreichte, war etwas Besonderes, obwohl es eigentlich normal sein sollte. Ich hatte plötzlich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt. Medien aus Japan, Amerika und überall in Europa wollten meine Geschichte erzählen. Es hat mich einfach darin bestärkt, noch mehr für unsere Gesellschaft zu tun.“
Auch im Kampf gegen Rassismus. Vincent hat vor kurzer Zeit auf einer Pressekonferenz erzählt, wie Sie ihn und seine Geschwister darauf vorbereitet haben …
„Rassismus begegnet dir überall. Im Stadion, auf der Straße, in der Arbeit. Aber wir haben unseren Kindern beigebracht: Reagiere nicht mit Wut, sondern mit Leistung. Ihre mittlerweile verstorbene Mutter war sehr wichtig. Sie war weiß, blond, und sie konnte die gesellschaftlichen Entwicklungen anders beobachten als ich. Sie sah, was in der Gesellschaft geschah, wie unterschiedlich Menschen behandelt wurden, und sie wusste, dass es für unsere Kinder nicht einfach sein würde. Deshalb war sie sehr direkt mit ihnen. Sie sagte ihnen ab dem Zeitpunkt, wo sie sprechen konnten, ganz klar: ‚Ihr müsst sehr viel härter arbeiten als andere, um erfolgreich zu sein!‘ Das war nicht als Drohung gemeint, sondern als eine einfache Wahrheit. Wir wussten, dass unsere Kinder sich behaupten mussten, weil sie schwarz sind. Es war unsere Verantwortung, ihnen diese Realität bewusst zu machen.“
Spiegelt sich das heute darin wider, dass Vincent auch bei Bayern immer wieder dafür gelobt wird, wie hart er arbeitet?
„Ja, absolut. Er hat es verinnerlicht. Er wusste, dass er keine einfachen Wege gehen konnte, dass er immer mehr arbeiten musste als andere. Das ist einer der Hauptgründe, warum er heute so erfolgreich ist und diesen Weg eingeschlagen hat. Er gibt niemals auf. Wenn Vincent eine Herausforderung annimmt, dann mit maximalem Einsatz. Das war schon immer so. Er hat Leichtathletik gemacht, Volleyball gespielt und überall hat er immer alles mögliche gegeben.”
Pierre Kompany versucht noch heute jedes Spiel seines Sohnes zu sehen
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Auch Uli Hoeneß hat ihn für diese Einstellung gelobt. Haben Sie den heutigen Ehrenpräsidenten schon kennengelernt?
„Ich habe schon mit ihm gesprochen, lustigerweise verbindet uns eine besondere Geschichte. Vincent war noch ein Jugendlicher, da sah ihn Uli Hoeneß bei einem Jugendturnier. Dann ging er zu Vincent und gab ihm seine Visitenkarte. Er wollte, dass ich mich als sein Vater bei ihm melde, damit er eventuell in die Jugend des FC Bayern wechselt. Aber wir haben nie angerufen. Unsere Philosophie war klar: Vincent sollte erst einmal die Schule erfolgreich absolvieren, und dann konnten wir über einen Wechsel ins Ausland nachdenken.“
Wie war Vincent in der Schule?
„Auch dort hat er hart gearbeitet und dabei immer versucht, von den Besten zu lernen. Es gab damals in seiner Klasse zwei Zwillinge, die sehr schlau waren. Vincent hat sie beobachtet, genau geschaut, was sie machen. Er hat sich gesagt: Wenn ich alles mache wie sie, werde ich auch gut. Und das hat er dann durchgezogen. Ihn haben die Erlebnisse abseits des Fußballfeldes besonders für seinen heutigen Erfolg geprägt. Er war auch bei den Pfadfindern, ist dort schon sehr früh als Anführer vorangegangen. So hat er gelernt, wie man eine Gruppe von Menschen führt. Davon profitiert er auch heute noch.“
Wie war Ihre erste Reaktion auf seinen Wechsel zum FC Bayern?
„Ich war glücklich. Aber ich wusste sofort, dass es eine große Herausforderung sein würde. Vincent ist jung, erst 38 gewesen, als er kam, und jetzt gerade 39. Plötzlich sollte er einen der größten Vereine der Welt führen – mit über 1000 Mitarbeitern. Bei Manchester City war er Spieler eines Vereins, jetzt ist er in einer ganz anderen Rolle mit viel mehr Verantwortung. Es war klar, dass das nicht einfach wird. Aber ich wusste, dass er sich dieser Herausforderung stellen würde – und dass er hart arbeiten würde, um erfolgreich zu sein. Er war als Spieler schon diszipliniert, aber jetzt als Trainer ist er noch härter. Er hat einen Tagesablauf, der kaum eine Pause zulässt. Morgens früh ist er bereits im Trainingszentrum, abends verlässt er es als Letzter. Er arbeitet meist 18 Stunden am Tag, seine Kinder sieht er an normalen Tagen sehr wenig.”
[–>Dafür wird er jetzt mit der Meisterschaft belohnt. Wie werden Sie das als Familie feiern?
„Vincent ist keiner, der viel feiert, wenn es um seinen eigenen Erfolg geht. Er wird sich freuen, keine Frage. Aber für ihn geht es immer weiter. Ich weiß, dass er in Burnley die Meisterschaft gewonnen hat und am nächsten Morgen schon über die nächste Saison nachdachte. Doch klar ist: Wir werden diesen Moment als Familie genießen – mit seinen Kindern zusammen sein, mit seiner Frau. Das war schon immer so. Das ist bei uns Tradition. Wir werden in der Kabine zusammenkommen. Wenn Vincent Erfolg hat, dann ist es nicht nur sein Erfolg, sondern der unserer ganzen Familie. Wir waren immer an seiner Seite. Seine Mutter und ich – wir haben ihn begleitet, als er noch ein kleiner Junge war. Wir waren bei seinen ersten Spielen dabei und ich versuche heute noch, jedes Spiel zu sehen und an seiner Seite zu sein.“
Haben Sie auch seine zahlreichen Titel als Spieler mit der Familie zelebriert?
„Ja, das war immer so. Sein ehemaliger Trainer Manuel Pellegrini rief mich nach einem Titel, den sie mit Manchester City im Wembley-Stadion gewannen, an, als ich auf der Tribüne saß. Er sagte mir, dass Vincent sich wünscht, dass ich zu ihm in die Kabine komme. Wir waren dort dann gemeinsam mit seinen Kindern und seiner Frau. Das war ein bewegender Moment für mich.“
Dass Vincent niemals vergisst, wo er herkommt, zeigt auch, dass er seinen Kindheitsfreund Rodyse Munienge mit in sein Trainer-Team bei Bayern geholt hat …
„Rodyse war unser Nachbarjunge, er hat im selben Haus gewohnt. Damals kam er immer zu uns und spielte mit den Kindern. Er ist ein sehr feiner Junge. Unsere Familien kennen sich seit Jahrzehnten. Er war schon immer wie ein Bruder für Vincent. Als er im Jahr 2006 nach Hamburg gewechselt ist, waren wir sehr froh, dass Rodyse mit ihm mitgekommen ist. Er war schon damals an seiner Seite und hat ihm geholfen. Auch heute noch ist es so, dass er als eine Art Bodyguard für Vincent da ist, wenn sich zu viele Leute um ihn herum tummeln.“
Seit dieser Saison im Trainer-Staff bei Bayern: Rodyse Munienge
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Zurück zu Ihnen: Sie sind heute Abgeordneter im Brüsseler Regionalparlament. Was haben Sie politisch noch vor?
„Ich bin Abgeordneter und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Beziehungen – wir befassen uns mit Themen, die ganze Welt betreffen. Darüber hinaus habe ich im Juni 2023 meine eigene Stiftung gegründet: die Pierre Kompany Foundation. Sie konzentriert sich auf drei zentrale Bereiche: Menschenrechte, Klima und Sport. Klar ist aber auch: Ich beobachte, wie sich die menschliche Gesellschaft entwickelt – und dann entscheide ich, wie ich darauf reagiere und was ich für Schlüsse daraus ziehe.“
Ein Thema, mit dem Sie sich sehr intensiv auseinandersetzen, ist die Menschenrechtssituation in Ruanda. Der Werbeslogan ‚Visit Rwanda‘ ist in mehreren Stadien Europas zu lesen – bei Paris Saint-Germain, Arsenal und auch beim FC Bayern. Was haben Sie gedacht, als Sie das gesehen haben?
„Ich habe bereits alles dazu im Parlament gesagt, weiter möchte ich mich derzeit nicht zu dem Thema äußern.”
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