SPORT BILD: Herr Ullrich, am Samstag beginnt die Tour de France. Wer wird gewinnen?
Jan Ullrich (51): Aktuell führt kein Weg an Tadej Pogacar vorbei. Wenn er gesund bleibt, ist er der Topfavorit. Ich bin sehr beeindruckt von ihm – nicht nur sportlich, sondern auch menschlich.
Kennen Sie ihn persönlich?
Wir haben uns 2021 in Paris bei der Tour und 2022 in Bergamo beim Giro di Lombardia getroffen. Das waren sehr angenehme Gespräche, er machte einen äußerst entspannten und souveränen Eindruck. Er hat gesagt, dass er sich an meine Rennen erinnert und dass ich ihn inspiriert habe. Das war auch für mich ein besonderer Moment.
Tadej Pogacar ist der große Favorit auf den Tour-Sieg
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Außergewöhnlich an Pogacar ist, dass er nicht nur bei der Tour de France, sondern das ganze Jahr über auf Sieg fährt …
Er hat trotz der vielen neuen Trainingsmethoden im heutigen Radsport diese Einstellung – Rennen fahren, um zu gewinnen, egal, wann im Jahr. Das erinnert mich an Eddy Merckx.
Kann ihm Jonas Vingegaard, Sieger von 2022 und 2023, gefährlich werden?
Wenn Jonas fit ist, fährt er absolut auf Augenhöhe. Das hat man in den letzten Jahren gesehen. Aber nach so einem harten Sturz mit Gehirnerschütterung im März bei Paris–Nizza braucht er Zeit. Bei der Dauphiné hat man gemerkt, dass noch ein paar Prozent fehlen.
Doppel-Olympiasieger Remco Evenepoel wird in seiner Heimat Belgien als neuer Merckx gefeiert. Welche Chance hat er?
Remco ist ein riesiges Talent, aber die Tour ist noch mal eine andere Hausnummer. Wenn bei ihm alles passt, könnte es – nach dem dritten Gesamtrang im letzten Jahr – bei ihm sicher wieder fürs Podium reichen. Für den Gesamtsieg kommt er meines Erachtens dieses Jahr noch nicht infrage.
Die Doping-Beichte im Video: Jan Ullrich: „Ja, ich habe gedopt, ja“
Red-Bull-Kapitän Primoz Roglic ist oft in Stürze verwickelt. Ist das nur Pech, oder hat man als Fahrer auch selbst Mitschuld?
Klar gehört im Radsport Pech dazu, aber manchmal ist es auch die Fahrweise. Roglic geht immer voll ins Risiko – das ist seine Stärke, aber auch eine seiner Schwächen, wenn es zum Sturz führt.
Welche Rolle können die deutschen Fahrer bei der Tour spielen?
Ich freue mich besonders über Florian Lipowitz, ein spannender, junger Fahrer, von dem wir sicher einiges sehen werden bei der diesjährigen Tour. Und bei den Sprintern haben wir sicher mit Pascal Ackermann oder Phil Bauhaus immer wieder gute Chancen auf Etappensiege.
Wie sauber ist die Tour 2025?
Ich glaube, dass der Radsport durch meine Generation und meine Zeit sehr viel gelernt hat und heute insgesamt auf einem anderen, deutlich besseren und vor allem saubereren Weg ist als früher. Die Kontrollen sind strenger, die Testverfahren moderner, und die Sensibilität für das Thema ist gewachsen – bei Teams, Fahrern, Verbänden. Und das ist gut so, für den Sport, für die Fans und vor allem junge Talente, die heute ganz anders aufwachsen.
[–>Werden Sie bei der Tour vor Ort sein?
Ich bin im Juli durch verschiedene Einsätze für meine Partner, für die ich als Markenbotschafter unterwegs bin, ziemlich beschäftigt. Außerdem hoste ich ja zusammen mit Rick Zabel den wöchentlichen Podcast „Ulle & Rick“, der angelaufen ist, und der mir riesigen Spaß macht. Während der Tour de France werden wir sicher mindestens zweimal wöchentlich auf Sendung sein, um die aktuellen Geschehnisse zu analysieren. Deshalb werde ich dieses Jahr wahrscheinlich nicht vor Ort sein können.
Lange Zeit waren Sie bei der Tour de France nicht willkommen. Hat sich das geändert?
Ja, ich habe das Gefühl, dass ich wieder willkommen bin – nicht nur bei der Tour de France, sondern ganz allgemein im Radsport und in der Öffentlichkeit. Es war ein weiter Weg, und ich weiß, dass Vertrauen nichts ist, was man geschenkt bekommt – man muss es sich zurückerarbeiten. In der letzten Zeit durfte ich viele Gespräche führen, wurde wieder in Talkshows eingeladen, bin als TV-Experte im Einsatz und bekomme auch viele Anfragen von Menschen, die wissen wollen, wie man mit Krisen umgeht. Das zeigt mir, dass meine Geschichte – mit allen Höhen und Tiefen – heute wieder einen Platz hat. Und wenn ich bei der Tour de France dabei bin, dann nicht nur als Teil der Geschichte und ehemaliger Sieger, sondern auch als jemand, der zeigen möchte: Es ist nie zu spät, sich selbst zu verändern.
Werden Sie während der Tour für Eurosport im Einsatz sein?
Ja, ich bin dieses Jahr während der Tour de France wieder im TV für Eurosport als Experte beim Velo-Club-Talk mehrmals im Einsatz. Die ersten Einsätze dieses Jahr waren bereits im Rahmen der Übertragungen des Giro d’Italia. Aber auch für die ARD hatte ich dieses Jahr bereits in Frankreich am Mont Ventoux tolle Dreharbeiten zusammen mit Bergfloh Simon Geschke und einem Überraschungsgast – für ein wirklich tolles Format, welches kurz vor der Tour de France erscheinen wird.
Ende 2023 kam Ihre Amazon-Doku raus mit der Dopingbeichte. Wie geht es Ihnen seitdem?
Sehr gut. Die Doku war ein großer Schritt für mich – öffentlich, aber vor allem innerlich bin ich befreit. Ich habe endlich losgelassen, was mich jahrzehntelang runtergezogen hat. Ich bin heute wieder zurück im Leben.
In den Talkshows wirken Sie viel lockerer als früher. Täuscht das?
Nein, das täuscht nicht. Ich bin aufgeräumter, ruhiger und glücklicher. Ich weiß heute besser, wer ich bin.
Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Aktuell habe ich fast täglich Reha-Anwendungen, nachdem ich ja vor knapp acht Wochen einen Fahrradunfall hatte und mir das Schlüsselbein sowie einige Rippen gebrochen habe. Zuletzt habe ich parallel auch wieder begonnen, auf meinem Rennrad einige ruhige Kilometer zu drehen, um wieder reinzukommen. Anfang Juli nehme ich an einem Event zusammen mit meinem großen Idol, dem fünfmaligen Toursieger Miguel Induráin, in Italien in den Dolomiten teil. Außerdem habe ich mehrmals in der Woche Bürotermine mit meinem Team, wo wir Anfragen bearbeiten, Projekte durchsprechen und Terminpläne erstellen. Die restliche Zeit kümmere ich mich um meine Fitness und meine vier Kids.
Ihre Söhne fahren auch schon Rennrad. Toni (12), Benno (14) oder Max (17) – wer hat am ehesten das Zeug, eines Tages bei der Tour de France zu fahren?
Toni und Benno sind wirklich sehr motiviert und verfolgen den Radsport mit großer Freude. Sie spielen aber auch noch Fußball und fahren Ski. Ich unterstütze sie ohne Druck bei allem, was ihnen Spaß macht. Denn das ist die Hauptsache. Ob sie im Radsport die nächsten Schritte gehen möchten und können, wird sich zeigen. Aktuell habe ich große Freude, sie im Radsport zu sehen und sie etwas supporten zu können.
Wie läuft Ihr Museum in Bad Dürrheim?
Das Museum kommt seit der Eröffnung sehr gut an. Es kommen regelmäßig viele Leute aus ganz Deutschland sowie auch aus Belgien, Frankreich, Schweiz, Österreich. Ich denke, bei all den radsporthistorischen Informationen, welche heutzutage online und digital angeboten werden, ist ein Museum etwas Greifbares und Echtes – wenn auch das Anfassen der ausgestellten Gegenstände verboten ist (lacht). Viele verbinden den Museumsbesuch auch mit einer Tour durch den Schwarzwald, was ich nur empfehlen kann.
Wie intensiv ist der Kontakt zu Lance Armstrong?
Wir stehen regelmäßig in Kontakt, reden auch über aktuelle Radsportthemen. Wir haben in den letzten Jahren wieder zueinander gefunden. Nach all dem, was wir beide durchgemacht haben, verbindet uns viel mehr als nur der Sport. Es ist ein besonderes Band – wir haben ähnliche Höhen und Tiefen erlebt, und das hat unsere Freundschaft gestärkt. Wir fahren auch mindestens einmal im Jahr zusammen Rad, ob bei ihm in Texas oder bei einem gemeinsamen Event irgendwo in Europa. Es tut gut zu wissen, dass da jemand ist, der einen wirklich versteht. Lance war in einer sehr schweren Phase für mich da – dafür bin ich ihm dankbar.
Sie sind 51 Jahre alt. Fährt man da auch ab und zu schon E-Bike, zum Beispiel zum Brötchenholen?
(lacht) Brötchen hole ich zu Fuß oder mit dem Hollandrad, weil ich da einen Korb vorne habe. Aber ich habe tatsächlich seit einigen Jahren ein Pinarello-E-Mountainbike, das ich gerne in den Wintermonaten nutze, um in Bewegung zu bleiben.
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