Als Torwart-Trainerin erreichte Nadine Angerer mit der Schweizer Nationalmannschaft das Viertelfinale bei der Heim-EM. Die vierfache Europameisterin und Weltfußballerin von 2013 spricht im Interview über den Berger-Patzer im Halbfinale gegen Spanien, Rassismus gegen die Verlobte der deutschen Torwart-Heldin und die Hass-Posts gegen Schweiz-Star Alisha Lehmann.
SPORT BILD: Sie haben 146 A-Länderspiele für Deutschland bestritten, als Weltmeisterin und Weltfußballerin alles erlebt und sind heute Torwarttrainerin der Schweizer Frauen. Wie gut können Sie sich in Deutschlands tragische Tor-Heldin Ann-Katrin Berger nach deren entscheidendem Patzer im Halbfinale gegen Spanien hineinversetzen?
Nadine Angerer (46): Ich kann mich bestens in sie hineinfühlen. Bei der WM 2011 sind wir nach einem Patzer von mir im Viertelfinale gegen Japan (0:1) ausgeschieden. In diesem Moment willst du dich einfach nur verbuddeln. Ein einziger Fehler kann alles entscheiden, das ist die Schattenseite des Torhüter-Jobs. Die Szenen nach Bergers Fehleinschätzung und nach dem Abpfiff haben mich sehr berührt.
[–>Die deutschen Spielerinnen haben ihre Torhüterin sofort getröstet und später sehr gelobt.
Genau. Es war sofort eine Riesen-Solidarität zu spüren. Dieser Zusammenhalt trägt diese Mannschaft auch in Zukunft.
Was macht der Patzer mit Berger?
Sie wird noch stärker dadurch! Diese Mannschaft aus erfahrenen und jungen Spielerinnen wird daran wachsen und noch einiges zusammen erleben. Beim nächsten Turnier ist noch mal viel mehr mit Deutschland zu rechnen.
Im Finale wäre Berger auf ihre Verlobte, England-Verteidigerin Jess Carter, getroffen. Es gibt noch mehr EM-Pärchen: Deutschlands Torjägerin Lea Schüller zum Beispiel ist mit Italiens Stürmerin Martina Piemonte zusammen. Was bei den Frauen Normalität ist, würde er bei den Männern für einen Riesen-Aufschrei sorgen.
Das sollte eigentlich gar keine Rolle spielen. Es geht doch um den Sport. In dieser Hinsicht ist der Frauenfußball nicht nur für andere Sportarten, sondern für alle Bereiche des Lebens ein absolutes Vorbild.
Das kommt überraschend: Alisha Lehmann verrät geheime Leidenschaft
Ein großes Thema war der Rassismus in den sozialen Netzwerken gegen Jess Carter. Wie sehr beschäftigt Sie das?
Mit Verlaub: Das kotzt mich an! Mir tun in erster Linie die Spielerinnen leid, die so etwas erleben müssen. Ich sage immer: Social Media ist die Heimstätte der Schwachen. Leider sitzen viele Leute zu Hause und schreiben anonym irgendeinen Schwachsinn, ohne sich Gedanken zu machen. Was mich aufbaut, ist die Solidarität, der Zusammenhalt, der Support aus allen Bereichen, der sofort gekommen ist. Rassismus ist eine Sache, die unglaublich wehtut. Und bei mir einfach nur Unverständnis auslöst.
Angerer lobt die Mentalität der Schweizer Star-Spielerin Alisha Lehmann, die in den sozialen Medien nicht nur gefeiert sondern auch beschimpft wird
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Genau wie die frauenfeindlichen Posts gegen die Schweizer Spielerin und Social-Media-Star Alisha Lehmann zuletzt.
Wer Alicia kennt, weiß, was für eine tolle Frau sie ist. Sie ist selbstbewusst, geht unbeirrt ihren Weg, hat einen ganz tollen Charakter. Alisha ist einer der positivsten Menschen, die ich kenne. Es gibt wenige Spielerinnen, die auch um 4 Uhr morgens sofort auf dem Platz stehen würden, wenn es sein muss. Mir tut es für Alisha unheimlich weh. Ich bin froh, dass sie mental so stark ist und es ziemlich locker sieht. Aber so tickt ja nicht jede. Es ist für mich unverständlich, warum Menschen ihre eigene Wut auf andere projizieren müssen. Wir als Team und alle wahren Fans der Schweiz stehen voll hinter ihr.
Was bedeutet dieses EM-Turnier für den Frauen-Fußball?
Der Frauen-Fußball ist nicht aufzuhalten. Er polarisiert im positiven Sinne. Es ist der absolute Wahnsinn, was in der Schweiz in den letzten Wochen abgegangen ist. Auch was Zuschauer und Quoten angeht – da wurden alle Rekorde gebrochen. Unsere Sportart hat sich noch einmal auf ein neues Level gehoben. Das macht mich sehr stolz.
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