Keine Pause für Jonathan Tah (29)! Nach dem 0:2 im Spiel im Platz 3 in der Nations League gegen Frankreich geht es für den Verteidiger direkt weiter! Kommende Woche steht für den Ex-Leverkusener mit seinem neuen Klub die Klub-WM in den USA an. Schon vor der Endrunde der Nations League erklärte Tah im Interview seinen Wechsel zum FC Bayern, wie ihm Boateng und Hummels beim DFB geholfen haben und wie er vom „Bodybuilder“ zum Fußballer wurde.
SPORT BILD: Herr Tah, Sie wurden im Alter von 19 Jahren mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet. Mit 29 Jahren sind Sie heute Stammspieler in der Nationalelf, wechseln im Sommer zum FC Bayern. Ist es für einen Verteidiger schwierig bis unmöglich, in jungen Jahren einen Status zu erreichen wie aktuell Florian Wirtz oder Jamal Musiala?
Jonathan Tah: Ich glaube schon, dass man die Positionen anders betrachten muss. Es gibt zwar auch Verteidiger, die mit Anfang 20 schon sehr stabil sind, bei denen man sagt: „Wow! Dass der das in diesem Alter schafft, ist besonders.“ Es ist als Verteidiger nun einmal auffälliger, wenn dir Fehler unterlaufen. Wenn ein Offensivspieler zwei, drei Chancen versemmelt und am Ende dann das Tor macht, ist es immer noch spektakulär und gut. Als Verteidiger haben deine Fehler oft Konsequenzen. Daher muss man als Abwehrspieler mit der Zeit reifen. Seinen Peak hat man dort später als auf anderen Positionen.
Was würde der 29-jährige Jona seinem 19-jährigen Ich für einen Tipp geben?
„Sei nicht so hart zu dir selbst!“ Das war oft das Problem – und ist es bis heute noch manchmal. Ich bin sehr ambitioniert, habe hohe Ansprüche an mich. In jüngeren Jahren war es manchmal nicht so hilfreich, wenn ich zu hart zu mir selbst war.
Was haben Sie geändert?
Was sich sehr verändert hat, ist mein privates Zusatztraining. Das habe ich schon mit 19 gemacht. Da war mein Fokus sehr auf Kraft, ich war deutlich schwerer als heute. Seit fünf, sechs Jahren habe ich das Training umgestellt, achte viel mehr darauf, beweglich zu sein: Als großer Spieler ist es extrem schwierig, in der Hüfte beweglich zu sein. Gegen kleine, wendige Spieler zu agieren ist die größte Herausforderung. Daran habe ich viel gearbeitet: schnelle Füße zu haben, schneller in den Drehungen zu sein. Als ich jünger war, war ich deutlich schwerfälliger. Da lag der Fokus vielleicht mehr auf gutem Aussehen (lacht).
[–>Was wogen Sie damals und was heute?
Aktuell liegt mein Gewicht bei 93 Kilo. Damals waren es 98 Kilo. Ich habe auch meine Ernährung angepasst, aber vor allem ging es um eine Trainingsumstellung. Ich habe damals viel gepumpt: Das ging mehr in die Richtung Bodybuilder als Fußballer. Das habe ich angepasst. Diesen Unterschied merke ich extrem auf dem Platz.
Beim DFB hatten Sie viele sehr gute Verteidiger vor sich: Haben Sie von denen etwas mitgenommen?
Von Jérôme Boateng und Mats Hummels habe ich extrem profitiert. Was ich gelernt habe: Jeder hat seinen eigenen Stil. Du musst deine eigenen Stärken so gut es geht auf den Platz bringen. Jérôme war im Tempo stark, Mats im Stellungsspiel. Da konnte ich sehr viel für mich mitnehmen und meinen Stil finden.
Würden Sie zustimmen, dass es Ihnen mit der Double-Saison in Leverkusen gelang, einen Umschwung in der Wahrnehmung zu erreichen?
Diesen Switch in der Wahrnehmung gab es auf jeden Fall, das habe ich auch gespürt. Dazu trug auch Julian Nagelsmann bei: Er hat mir sofort bei der Nationalmannschaft das Vertrauen geschenkt, das öffentlich kommuniziert. Er spürte, dass er sich auf mich verlassen kann. Das war ein tolles Gefühl. Ich habe viel Geduld gebraucht, damit dieser Moment kam. Es gab oft Kritik: Manchmal war es hart, manchmal drüber. Aber das habe ich mir nicht so zu Herzen genommen, dass ich darunter gelitten hätte. Wichtig war, was von den Trainern kam: Ich wollte bereit sein für diesen Moment.
Heiße Frage!: Wirtz irgendwann doch zu Bayern?
Welche Rolle spielt das Selbstvertrauen, eine breite Brust für Verteidiger – und wie hat Ihnen hier der Double-Sieg mit Leverkusen geholfen?
Das Bewusstsein, in einer Gewinner-Mannschaft zu spielen, ist absolut zentral. Du spürst den Respekt der Gegner, die wissen: Okay, dieses Team hat einen Titel geholt. Du merkst selbst, dass du eine andere Wirkung als Mannschaft auf die Gegner hast. Das tut gut, auch wenn du zur Nationalmannschaft kommst.
An Ihnen waren Barcelona und Real Madrid dran, nun gehen Sie zum FC Bayern. Hilft das dann in der persönlichen Entwicklung dementsprechend noch einmal mehr?
Ich wollte wechseln und habe mich am Ende für den FC Bayern entschieden, weil ich das Gefühl habe, dass ich hier noch einen weiteren Schritt machen kann. Ich bin sehr ambitioniert, ich möchte immer besser werden. In der Konstellation mit diesem erfolgreichen, großen Klub, mit der aktuellen Mannschaft, die der FC Bayern schon hat, und mit dem Trainer Vincent Kompany, der mich wollte und selbst Verteidiger war: Ich kann beim FC Bayern noch mehr aus mir herausholen. Deswegen bin ich in München.
Was halten Sie von dem Begriff „Abwehrchef“?
Am Ende müssen wir alle Chefs sein, alle Verantwortung übernehmen – in der Nationalelf und beim FC Bayern. Ich versuche, mich da einzubringen, was die Kommunikation und Organisation auf dem Platz angeht. Das hilft nicht nur der Mannschaft, sondern mir selbst. Aber mir gefällt das Wort „Chef“ nicht, weil es einen einzelnen Spieler zu sehr heraushebt.
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