„Meine Bayern“ heißt die Kolumne von SPORT BILD-Reporter-Legende Raimund Hinko, die sich mit dem deutschen Rekordmeister befasst. Hinko begleitet den FC Bayern seit Jahrzehnten.
Lieber Vincent Kompany,
es gibt Momente im Leben eines großen Trainers, da muss er für seine Spieler alles können, muss er alles sein. Arzt, Psychologe, Freund, Vertrauter, Seelsorger, Priester – und am Ende sogar ein bisschen Fußball-Lehrer. Auf einmal waren diese Eigenschaften alle miteinander von Dir gefragt – und sogar noch ein bisschen mehr.
[–>Da Du ein ausgeschlafenes Kerlchen mit breiten Schultern, gewaltigem Kreuz und stabiler Psyche bist, lieber Vincent, warst Du in diesem Moment genau der Richtige für – ja, richtig gelesen – für Jamal Musiala. Genau jenem Musiala, von dem man glauben könne, er brauche gar keinen Trainer, weil ihm der Fußball-Gott so ziemlich alles in die Wiege gelegt hat, was sich ein Fußball-Profi wünscht.
Du hast längst im Voraus geahnt, wie die Kult-Kicker vom Maradona-Verein Boca Juniors Deinem Lieblingsschüler begegnen würden, wenn Du ihn in der zweiten Halbzeit – von Anfang an hattest Du das sowieso ausgeschlossen – in die Schlacht werfen würdest. Ja! In die Schlacht. Gegen jene euphorischen Kicker, die berühmt sind für ihre Härte, denen außer Maradona nichts heilig ist.
Bayern-Juwel Jamal Musiala mit Trainer Vincent Kompany
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Kaum auf dem Spielfeld hatten sich zwei, drei Fäuste bzw. Finger an den empfindlichsten Stellen in Jamals Kopf gebohrt. Ganz abgesehen davon, dass unten im Bereich der Sprunggelenke gleich ein Feuer loderte, gespeist von hinterhältigen Grätschen. Sie hatten nichts Böses im Sinn, die Argentinier, doch Präsident Wilhelm Neudecker, der den FC Bayern 1965 in die Bundesliga geführt hatte, wusste damals schon, warum er sich weigerte, die Münchner 1974 und 1975 gegen den Südamerika-Meister antreten zu lassen (damals gab es ein Hin- und Rückspiel gegen den Europacupsieger der Landesmeister). Er hatte schlichtweg Angst, dass Franz Beckenbauer, bzw. Gerd Müller zusammengetreten werden, dass sie sich schwer verletzen. Sodass man die Trophäe erst 1976 nach einer 0:0-Abwehrschlacht bei Cruzeiro Belo Horizonte (Hinspiel 2:0) mit nach Hause nehmen durfte.
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Vincent, Du musstest Jamal Musiala einerseits das Gefühl geben, dass ihm nichts passieren kann. Dass Du für ihn da bist, wenn Not am Mann ist, dass Du ihn schützt, dass Du ihn sofort wieder auswechselst. Andererseits musstest Du aufpassen, dass Musiala nicht als Weichling dasteht, dem man den Vorwurf machen könnte, dass er zurückzieht, wenn es hart auf hart geht. Das hast Du prima hingekriegt. Denn nichts liebt Musiala mehr als den Ball. Es gäbe kaum Schlimmeres, als bekäme er plötzlich Angst, als müsse er freiwillig zurückziehen, nur weil sich die Gegner nicht blamieren wollen.
Spielen bei der WM wieder unbeschwert auf: Serge Gnabry (l.) und Kingsley Coman
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Doch so sah es fast aus, als Du ihn nach 25 Minuten erlöst hast. Und als Joshua Kimmich wahre Führungsstärke bewies, als er zu Musiala hinlief und versuchte, ihn zu trösten. Das Gebilde als Mannschaft funktioniert im Moment beim FC Bayern wirklich gut. Da blüht Michael Olise von Spiel zu Spiel mehr auf, nicht nur auf dem rechten Flügel, nicht nur als Torschütze. Da spielen Kingsley Coman und Serge Gnabry fast so unbeschwert gut wie 2020, als sie beim Corona-Turnier in Lissabon zuletzt die Champions League gewannen.
Ich bin mir sicher, dass Du der nächste bist, der in den USA in drei Wochen einen fetten Pokal stemmen wird, lieber Vincent Kompany. Und dass sich Jamal Musiala bedanken wird bei Dir. Mit dem Siegtreffer?
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